Stille Nacht, eisige Nacht
Als Nis Puk das Weihnachtsfest rettete
Zusammenfassung
Nis Puk ist ein Hausgeist. Ein guter Hausgeist wohlgemerkt, der Kindern Gutes tut. Und so zögert er nicht lange, als ihm zu Ohren kommt, dass Knecht Ruprecht dringend Hilfe braucht. Nis Puk macht sich auf, das Weihnachtsfest zu retten, und setzt alles daran, zu verhindern, dass die Bescherung wegen Sturm und Eis ausfallen muss.
Bestsellerautorin Kari Köster-Lösche, bekannt für ihre großen historischen Romane, wird mit dieser Geschichte ihre Fans verzaubern und Kinder begeistern.
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Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Über dieses Buch:
Nis Puk ist ein Hausgeist. Ein guter Hausgeist wohlgemerkt, der Kindern Gutes tut. Und so zögert er nicht lange, als ihm zu Ohren kommt, dass Knecht Ruprecht dringend Hilfe braucht. Nis Puk macht sich auf, das Weihnachtsfest zu retten, und setzt alles daran, zu verhindern, dass die Bescherung wegen Sturm und Eis ausfallen muss.
Bestsellerautorin Kari Köster-Lösche, bekannt für ihre großen historischen Romane, wird mit dieser Geschichte ihre Fans verzaubern und Kinder begeistern.
Über die Autorin:
Kari Köster-Lösche, 1946 in Lübeck geboren, Tierärztin und Wikingerexpertin, hat einen Großteil ihrer Jugend im schwedischen Uppsala, dem Zentrum der nordischen Kultur, verbracht. Heute lebt und arbeitet sie als freie Autorin in Nordfriesland.
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eBook-Neuausgabe April 2016
Copyright © der Originalausgabe 2002 Rütten & Loening Berlin GmbH
Copyright © der Neuausgabe 2014 dotbooks GmbH, München
Copyright © 2016 jumpbooks. jumpbooks ist ein Imprint der dotbooks GmbH, München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-96053-060-2
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Kari Köster-Lösche
Stille Nacht, eisige Nacht
Als Nis Puk das Weihnachtsfest rettete
jumpbooks
Kapitel 1
»Schon wieder Porrenfrikadellen!« bemerkte der zwölfjährige Bandik so kritisch, daß sein Vater sofort ausholte. Er entging der Ohrfeige nur mit Mühe und Not.
Sönke Bonken, Bauer auf der Hallig Langeneß und als Fennemacher des vergangenen Sommers eine Respektsperson, die sich nicht so leicht provozieren ließ, nahm die Gabel wieder auf, die er im Zorn hatte fallenlassen. »Euch fehlt die Schule, ihr wärt sonst nicht so außer Rand und Band! Ich kann mich, verdammt noch mal, nicht erinnern, daß ich jemals in meinem Leben seit November so viele Stürme und so viel Landunter erlebt habe. Aber das gibt dir noch lange kein Recht, am Essen herumzumäkeln!«
»Nicht fluchen, Sönke«, bat Heinke, seine Frau, leise.
Bandik blinzelte seiner kleinen Schwester Anke überlegen zu, und Mutter Heinke verkniff sich ein mitfühlendes Lächeln. Ihnen allen, Sönke eingeschlossen, drückte es auf das Gemüt, wochenlang auf einer Warf eingesperrt zu sein; je öfter die Stürme kamen, desto mehr geriet in Vergessenheit, daß es dazwischen immer einige Tage ruhig gewesen, das Wasser vom Halligland abgelaufen war, die Kinder zur Kirchwarf in die Schule gegangen waren und sie alle am Sonntag den Gottes. dienst besucht hatten.
»Mutter, warum gibt es denn heute schon wieder Porren?« erkundigte sich Anke in einem unschuldigen Ton, dem man die Antwort nicht verweigern konnte.
»Wir müssen umsichtig wirtschaften, Anke«, antwortete Heinke ruhig. »Wenn der Herr im Himmel kein Einsehen hat, könnte es sein, daß die Vorräte nicht bis zum Frühjahr reichen ... Und was nützt es, wenn wir etwas haben und die Nachbarn nicht. Die vergangenen Wochen waren eine Katastrophe für alle.«
»Oh«, sagte Anke betroffen.
»Daß wir die letzte Einkaufsfahrt nach Wyk nicht mehr unternehmen konnten, macht sich allmählich bemerkbar. Deshalb sparen wir an den Vorräten, wann immer es geht. Wir wollen doch auch für das Weihnachtsfest backen, nicht wahr?«
»O ja!« Ankes Augen glänzten in Vorfreude.
»Wenn der Abendhimmel sich rötet, backen auch die Engel«, fügte Heinke hinzu.
Beinahe ohne es zu bemerken, aß Anke die Frikadellen aus eingesalzenen Krabben auf, die es in dieser Woche nun schon das dritte Mal gab.
Sönke, der mit gerunzelter Stirn ins Wetter gespäht hatte, obwohl aus dem Küchenfenster nur zu sehen war, wie sich die Holunderbüsche am Fething im Inneren der Warf im Sturm bogen, beendete kurzerhand die Mahlzeit und stand auf.
»Gehst du schon?« fragte Heinke betroffen.
»Ich will feststellen, ob die Engel schon backen«, knurrte Sönke als Antwort. Heinke hörte seine Holzschuhe auf dem Katzenkopfpflaster der Diele scharren, und kurz danach schlug die Außentür mit lautem Knall zu.
»Was hat Vater denn?« Bandik sah seine Mutter mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Heinke betrachtete ihren Ältesten prüfend. Seine hellblonden Haare waren so lockig, wie er sie schon als Kleinkind gehabt hatte, aber der besorgte Ausdruck seiner Augen sprach dafür, daß es keine Neugier war, die ihn derart hartnäckig fragen ließ. Er hatte begriffen, daß dieser Frühwinter Anlaß zur Beunruhigung gab, wenngleich es ihn am wenigsten störte, daß die Schule so oft ausfiel.
»Ist es wegen des Futters für das Vieh?«
»Auch«, sagte Heinke zögernd. »Es hängt alles mit der endlosen Kette von Stürmen zusammen. Dein Vater hat, wie fast alle Halligleute, im November mehrere Rinder verkaufen müssen, was er ja gar nicht vorgehabt hatte. Aber das Heu hätte nicht für alle gereicht, nachdem sie wegen der vielen Landunter so früh aufgestallt werden mußten, deshalb ging es nicht anders.«
»Und die Kerle vom Festland haben wohl nicht bezahlt?« Bandik stieß empört seinen Gabelgriff auf die Tischplatte.
»Doch, natürlich werden sie bezahlen. Die Viehhändler sind hart, aber nicht mehr als sonst auch. Man kann ihnen keinen Vorwurf machen, wenn sie die Situation ausnutzen und bei einer Rinderschwemme die Preise drücken.«
»Vater kann also im Frühjahr nicht so viele Starken kaufen, wie er jetzt Kühe hat abgeben müssen«, schloß Bandik vernünftig.
»Ja, wir haben eine Menge Geld verloren«, seufzte Heinke und fühlte sich fast erleichtert, ihren Kindern nicht ständig Heiterkeit vorspielen zu müssen. »Abel vielleicht wird alles nicht so schlimm, wie es jetzt aus. sieht, und erst einmal freuen wir uns auf Weihnachten und die Zeit der Zwölften.«
»Und auf Knecht Ruprecht«, ergänzte Anke. »Was ei wohl bringt? Ich hätte gerne zwei Apfelsinen für mich allein. Ich will sie mit niemandem teilen! Bandik kann sich ja selber welche wünschen. Glaubst du, daß ich Apfelsinen bekomme, Mutter?«
»Ich könnte es mir vorstellen«, antwortete Heinke ausweichend und floh mit Tellern und Gabeln in die Diele, wo sie das Geschirr abwaschen würde. So entgingen den Kindern die Tränen, die ihr die Wangen herab rollten. Sie stellte sich im Gegenteil weder Apfelsinen noch ein Buch in den Schuhen der Kinder am Neujahrsmorgen vor. In diesem Jahr war Luxus ausgeschlossen.
Auf den Halligen konnten Stürme selbst den reichsten Kapitän in wenigen Stunden bitterarm machen. Und in diesem vorletzten Winter des Jahrhunderts hatte das Unglück die Hallig in seinem harten Griff. Es lag auf ihr wie eine dicke schwarze Wolke, aus der Schneeregen peitscht und die nicht wanken und rücken will.
Sönke kehrte zurück, als Heinke mit dem Abwasch fertig war. Wieder flog die obere Klappe der Außentür zu, aber Sönke kümmerte es nicht. »Der Wind hat ein wenig nach Nordwest gedreht«, meinte er, »und meiner Ansicht nach nimmt er ab. Gott sei Dank, dann ändert sich das Wetter endlich.«
»Backen die Engel denn heute abend?« fragte Anke dazwischen, die Heinke längst hinausgeschickt hatte, damit sie sich zum Schlafengehen fertig machte.
Sönke schüttelte den Kopf. »Heute abend nicht, mein Kleines. Der Himmel ist schwarz von Wolken. Heute versäumst du nichts. Aber in den nächsten Tagen ist es ganz bestimmt soweit.«
»Hoffentlich«, fügte Heinke hinzu.
Als Anke betrübt davongeschlichen war, setzte Sönke sich. »In den Fething ist noch kein Tropfen Seewasser gelaufen, wir sind noch einmal vor dem Schlimmsten davongekommen, glaube ich.«
»Aber bei so vielen Stürmen wäre es übermütig, immer auf sein Glück zu vertrauen«, sagte Heinke warnend.
»Wir müssen damit leben. So war es schon immer.«
»Nur kommen die Fluten jetzt öfter und höher.«
Sönke zuckte mit den Schultern. »Spätestens übermorgen können die Kinder wieder zur Schule gehen. Es wird Zeit, daß der Lehrer der ganzen Bande die Ohren lang zieht, zehn Lümmel auf einer einzigen Warf, das ist ja nicht zum Aushalten.«
Heinke lächelte. »Und ich werde meine Weihnachtspost schreiben. Wenn du so gut wärst, den Brief an Großmutter Stine dann gleich zur Peterheitzwarf zu bringen? Ganz bestimmt fertigt Edlef Tedsen vor Weihnachten noch Post für das Festland ab.«
»Das muß er. Ich habe da sowieso etwas zu erledigen«, antwortete Sönke zustimmend und drückte Heinke einen Kuß auf die blonden Flechten, die unter der Haube herausschauten.
»Und wie hoch steht jetzt das Wasser, Vater?« meldete Bandik sich, der gerade in Unterhose und Unterhemd zur Katzenwäsche vor dem Schlafengehen erschien. Unter seinem Arm tauchte Anke durch und stand ebenfalls im Unterzeug in der Tür zur Diele.
Heinke legte den Arm um ihre frierende Tochter und drückte sie an sich.
Sönke hob lauschend den Kopf. Wieder rüttelten gewaltige Böen am Haus, und es knackte im Gebälk. »Es läuft ab, nur noch der Warffuß ist umspült, ich bin sicher, ihr könnt morgen zur Schule.«
Plötzlich hörte Anke auf zu zittern. Fragend sah sie zu ihrer Mutter hoch. Heinke nickte ihr beruhigend zu. Heinke wußte, daß Anke bei Landunter stets Angst hatte. Wenn das Wasser sehr hoch stand, durfte niemand den Versuch machen, sie ins Bett zu schicken, sie blieb angekleidet am Wohnzimmertisch sitzen, und wenn die Nachbarn zu einem Schwätzchen herüber kamen, schlief sie trotz des Lärms und der Tabakschwaden aufrecht auf ihrem Stuhl.
»Das glaube ich nicht, Vater«, widersprach Bandik, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte. »Am Vormittag wird die Flut den höchsten Stand haben, da ist noch viel zu viel Wasser, um durchzukommen.«
»Dann wirst du eben hierbleiben und dein ganzes Rechenbuch noch einmal durchrechnen«, befahl Sönke ungehalten.
»Und Knecht Ruprecht lege ich es zum Nachprüfen vor«, entfuhr es Bandik.
Sönkes Ohrfeige ließ Bandik beinahe über die nur halb gefüllte Wasserschüssel stolpern, die Heinke ihm schon bereitgestellt hatte. »Er wird dir eine Rute bringen, da kannst du sicher sein!«
»Und ich könnte wetten, ich muß mir schon wieder mit salzigem Wasser die Zähne putzen«, schrie Bandik erbittert. »Hauptsache, die Kühe haben Frischwasser!«
»Benimm dich nur weiter wie ein Ochse, dann bekommst du auch Süßwasser«, sagte Sönke barsch und zog sich in die Döns zurück, wo er seine Ruhe hatte.
»Jiiih!« rief Nis Puk begeistert und ließ sich mit der Wetterfahne im Kreis umherwirbeln, immer schneller, bis der Sturm ihn fast losgerissen hätte. Das war ein Wetter! Wie gemacht für Puken, besonders wenn sie in einem behaglichen Haus von Menschen wohnten und nicht wie ihre Vettern in den Hügeln hausen mußten.
Trotzdem – durch die Luft zu sausen und irgendwo in den Sylter Dünen hernieder zu krachen hatte er wahrlich keine Lust. Nis ließ sich über das Reetdach nach unten rutschen, landete auf der Stalltür, dessen oberer Flügel einen Spalt weit offen stand, und hüpfte in die Stallgasse.
So weit er hören konnte, war im Stall alles in Ordnung. Die Kühe lagen und käuten wieder, wie es sich gehörte, und nur Lene drehte sich zu ihm um. Er gab ihr einen freundlichen Klaps auf die braune Kruppe und schlenderte in den Verschlag, der abgesehen von allerlei Gerät, das dort aufbewahrt wurde, sein Reich war.
Dort sprang er in das Kummet der Stute, das an einem Pflock am Deckenbalken hing, schaukelte ein wenig vor sich hin und dachte nach. Und da Puken ein enorm langes Leben haben – seines Wissens war er mindestens 310 Jahre alt –, gab es viel nachzudenken.
In Erinnerung an die herrlichsten Grützmahlzeiten seines Lebens leckte er sich die Lippen. Der Bauer war zu seiner Zeit der freigiebigste von Kampen gewesen, und jeden Weihnachtsabend hatte Nis nicht nur die Puken des ganzen Dorfes, sondern auch die Kleinen Leute vom Puktal und vom Pukhügel zum Mithalten an der riesigen Breischüssel eingeladen. Das war aber schon lange her – der Bauer Petersen, der nun hier wirtschaftete, kümmerte sich nicht um das Wohlergehen von Puken.
Trotzdem hatte eine Grützschüssel immer ihren Weg in den Verschlag gefunden. Und Weihnachten stand vor der Tür ...
Jemand kam. Nis ließ das Kummet ausschaukeln, damit es nicht knarrte, und lauschte. Es war Großmutter Stine, die die Gänse im gegenüberliegenden Verschlag füttern wollte.
»Komm, Martin«, murmelte sie kummervoll, »iß das Schrot, damit du schön fett wirst. Vielleicht ist es deine Henkersmahlzeit. Mein Sohn will dich zum Weihnachtsfest auf dem Tisch haben.«
Nis Puk erschrak. Martin war ein stattlicher Ganter, mit dem er oft schwatzte. Großmutter Stine schien wenig davon erbaut zu sein, Martin zu verzehren. Er selber auch nicht.
Drüben auf der anderen Stallseite hörte das erwartungsvolle Schnattern allmählich auf, während die Gänse sich über ihre Abendmahlzeit hermachten.
Stine schob die Tür wieder zu und tappte den Stallgang zurück ins Wohnhaus. Nur einen ganz kurzen Augenblick warf sie einen Blick zu Nis' Verschlag hinüber, so wie es ihre Gewohnheit war. Oft kam sie vor dem Schlafengehen ein letztes Mal und schaute nach, ob bei den Tieren alles in Ordnung war und niemand in Stall oder Scheune eine brennende Laterne vergessen hatte.
Nis blieb ruhig sitzen. Puken sind unsichtbar für Menschen.
Aber Großmutter Stine lächelte beim Anblick des Kummets zufrieden, und Nis fragte sich wieder einmal, was in aller Welt an einem Kummet, in dem eine Großmutter nicht schaukeln konnte, so großartig war, daß sie lächelte.
Kapitel 2
Zwei Tage später standen auf dem Halligland nur noch Pfützen, und die Priele führten nicht mehr Wasser als sonst. Bandik und Anke waren zur Schule geschickt worden, Bandik mit der üblichen Ermahnung, auf seine Schwester aufzupassen, wenn sie den Stock vor der Kirchwarf überquerten. Wenn die Hallig Landunter gehabt hatte, waren die kleinen Brücken über die Priele häufig beschädigt, die Handläufe wackelten, und alles mußte nach und nach repariert werden. Zu leicht konnte da ein Kind von der schmalen Planke in das eisige Wasser stürzen und ertrinken, selbst wenn der Priel nur nicht breit war.
Heinke seufzte leise und begann den Teig für das Gestaltengebäck zu kneten. Halligen bargen viele Gefahren, und obwohl die meisten Menschen sehr alt wurden, war man als Mutter oft in Sorge um die Kinder. Natürlich besonders, wenn man mit sich und seinen Gedanken allein war.
Sönke hatte die Schafe zur Weide aus dem Stall gelassen und befand sich sicherlich noch draußen auf der Fenne, und weitere Bewohner hatte das Haus seit dem Tod von Sönkes Mutter nicht. Heinkes eigene Mutter Stine lebte bei ihrem Sohn in dessen Bauerhof auf Sylt. Oh, der Brief fiel ihr ein. Sie durfte nicht vergessen, den Brief am Abend zu schreiben, damit er die Mutter noch vor Weihnachten erreichte.
Pfeifend kehrte Sönke zurück, glücklicherweise, denn dann stand wenigstens bei den Schafen alles gut. Noch gab es für die Kühe, die den Winter über im Stall bleiben würden, ausreichend Futter. Bandik konnte sie nach der Schule ausschicken, um einen Eimer voll Klaffmuscheln aus einem Priel zu holen. Wieder ein Tag, an dem sie Kartoffeln sparen würde.
»Alles in Ordnung?« rief Heinke nach draußen, wo, dem Geräusch nach zu urteilen, ihr Mann sich die Holzschuhe von den Füßen schüttelte.
»Doch, ja, einiges Gras werden die Schafe wohl noch finden«, antwortete er gutgelaunt. »Ich habe draußen auf der Fenne Broder getroffen, und der meint, daß es jetzt erst einmal ruhig bleiben wird. Er spürt es in den Knochen.«
»Meinst du wirklich, daß auf seine Knochen so viel Verlaß ist?« Heinke streifte sich den Teig von den Händen und blickte unter dem Reetdach hindurch hinauf in einen strahlend blauen Himmel. »Könnte es nicht eher sein, daß so sonniges Wetter im Dezember einen alten Mann einfach irreleitet?«
Sönke, der inzwischen am Türholm lehnte, um ihr zuzusehen, zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber Broder hat auch Ringelgänse gesichtet. Wenn sie auf dem Weg nach Norden schon hier auf der Hallig sind und sich nicht etwa nur auf dem Flug ins Winterquartier vertrödelt haben, dann wird der Winter nicht besonders hart werden, da hat er recht. Soll ich dir Ditten herabwerfen?«
»Ja, bitte«, sagte Heinke dankbar. Ihr Vorrat an Heizmaterial befand sich in einem hölzernen Schacht, der neben dem Herd vom Dachboden bis in die Küche reichte, und allein vom Vorheizen des Backofens war er schon halb geleert.
Während Sönke auf der Leiter nach oben stieg, begann auch Heinke wieder, frohgemut in die Zukunft zu sehen. Sie hatte den Geruch bereits in der Nase, der bald vom Weihnachtsgebäck ausgehen würde. Sobald die Kinder von der Schule zurück waren, würde sie mit Ankes Hilfe die Formen ausstechen und in den Ofen schieben. Später am Nachmittag waren dann mit der letzten Hitze im Ofen die Brote dran. Und vielleicht hatte ja Broder mit seiner Wettervorhersage sogar recht.
Abends, als Heinke die Wolle, die sie gerade gesponnen hatte, von der Spindel abwickelte, fiel ihr ein, daß der Brief an ihre Mutter immer noch nicht geschrieben war. Die Kinder lagen schon in ihren Wandbetten und schliefen, Sönkes Pfeife gurgelte leise, und der eiserne Ofen in der Stube gab nicht mehr viel Wärme ab.
Sie selber war müde vom Backen, danach hatte sie noch die sechs Kühe gemolken, auch wenn diese nicht mehr viel Milch gaben, und es war überdies für sie beide Zeit, sich schlafen zu legen. Beim Gedanken an ihre kalten Betten im unbeheizten Pesel schauderte es sie. Aber sie stand auf. »Komm, Sönke, es ist Zeit.«
Er erhob sich sofort, öffnete jedoch noch kurz das Fenster, um hinauszusehen. Heinke trat neben ihn und schmiegte sich in seinen Arm.
Draußen war es ganz still, abgesehen vom Rauschen der Wellen, die gegen das Ufer schlugen. Zum Festland hin leuchteten Tausende von Sternen, aber der Mond war von einem Schleier überzogen.
»Mir wären mehr Sterne lieber«, stellte Sönke nach einem Blick zur offenen See im Südwesten fest. »Es bedeckt sich schon wieder, hoffentlich zieht nicht ein neuer Sturm herauf.«
»Nein, Sönke, nun bist du zu pessimistisch«, sagte Heinke entschieden. »Laß mir das Vorrecht, schwarz zu sehen.«
Sönke schloß das Fenster, lächelte und küßte sie. In dieser Nacht hatte Heinke keinen Anlaß zu frieren, im Gegenteil, es war ziemlich warm, wenn auch etwas eng zu zweit im Wandbett.
Am nächsten Morgen peitschte Schneeregen fast waagerecht gegen die kleinen Fensterscheiben im Süden, und durch die Fugen zwischen den Wandfliesen pfiff der Wind in die Stube.
Bandik trödelte mit erwartungsvollem Gesicht durch die Küche. Heinke wußte, worauf er hinauswollte.
»Daraus wird nichts! Ihr zwei geht zur Schule«, sagte Sönke bestimmt. »Daß ich die Schafe nicht hinauslassen kann, bedeutet noch lange nicht, daß man euch nicht hinauslassen kann. Mittags, wenn das Wasser aufläuft, seid ihr längst wieder zu Hause; wenn es früher als erwartet kommt, schickt euch der Herr Lehrer schon los.«
Bandik ließ den Kopf hängen. »Es ist so langweilig«, maulte er. »Jeden Tag dasselbe.«
»So ist das Leben, mein Sohn«, sagte Sönke knapp. »Vieh füttern, Stall ausmisten, Schafe treiben, Heu machen, fischen ...«
»Ich meinte nicht das Leben. Ich meinte die Schule!« Bandik flüsterte ganz leise vor sich hin, und Heinke, die neben ihm stand, dachte, daß nur sie ihn gehört hatte.
Aber Sönkes Kinn hob sich, und er furchte die Augenbrauen, und Bandik hatte Verstand genug, sofort zu verschwinden, Anke auf den Fersen.
Als beide Kinder fort waren, band Heinke sich schnell das Kopftuch über die Haube und ging ihnen nach, nur um ihnen um eine Hausecke herum hinterher zu spähen.
Sie war beruhigt, als sie sah, daß auch die anderen Kinder der Warf nach und nach eintrudelten, um sich auf dem Ack zu versammeln. Alle Eltern fanden offenbar, daß trotz des Windes noch keine Gefahr bestand. Manchmal hatte Heinke das dumme Gefühl, daß sie sich mehr sorgte als die Frauen, die auf der Hallig geboren waren, und Sönke sie zuweilen sogar deswegen in Schutz nehmen mußte.
Während Heinke am Vormittag ihren Haushalt versah, nahm der Wind schnell an Stärke zu, und mittags erwies es sich, daß sie gar nicht mal so unrecht mit ihren Bedenken gehabt hatte. Erleichtert nahm sie zur Kenntnis, daß Sönke beschloß, den Kindern entgegen. zugehen, um sie sicher nach Hause zu bringen.
Alle drei troffen von Nässe, als sie das Haus betraten. Der Weg zwischen der Kirchwarf und der Ketelswarf führte keineswegs dicht am Wasser entlang. Offensichtlich schlugen die auflaufenden Wellen trotz des Südwestwindes schon im Norden über die Kante. Heinke verkniff sich eine Bemerkung über den Leichtsinn des Lehrers. Hauptsache, alle Kinder waren gut zu Hause angekommen.
»Morgen fällt die Schule aus«, behauptete Bandik siegesgewiß und warf seinen durchweichten Ranzen in die Ecke beim Ofen, wonach er sich aus den nassen Kleidern schälte.
»Die Briefbeförderung leider auch«, ergänzte Sönke. »Deine Mutter wird noch ein paar Tage warten müssen.«
Heinke nickte. Eine Woche nur noch bis zum Weihnachtsabend. Von Berlin hätte man nach Sylt telegrafieren können, auf Langeneß gab es dergleichen Möglichkeit nicht. Wegen ihrer Mutter tat es ihr leid, die würde sich Sorgen machen; ihrem Stiefbruder Frerk war sie ohnehin gleichgültig.
Die nächste Nacht war wieder einmal eine, die Sönke und Heinke wachend verbrachten, Anke zwischen sich, die sich krampfhaft bemühte, wach zu bleiben und trotzdem immer wieder einnickte. Als einige der Nachbarn ins Haus trudelten, um wie üblich über vergangene Sturmfluten und die gegenwärtigen Aussichten zu schwatzen, brachte Heinke ihre Tochter, eingewickelt in eine dicke Decke, auf dem Sessel neben dem Bilegger unter, damit sie es warm hatte.
Dann goß sie den Männern Tee ein und stellte den Krug mit dem Köhm daneben. Obwohl sie sich mit an den Tisch setzte, gingen die Reden an ihr vorbei. Sie lauschte statt dessen dem Simmern des Wassers im Kessel, das allmählich im Lärm des Sturms unterging. Die Böen heulten immer öfter und lauter, die Fensterläden, die Sönke, seiner Vorahnung entsprechend, schon früh am Abend geschlossen hatte, klapperten, und überall im Haus knackte das Gebälk.
Gegen Mitternacht schwoll der Sturm zu Orkanstärke an. Sönke zündete seine Sturmlaterne an und verließ mit den Nachbarn das Haus.
Heinke hockte sich neben ihre Tochter, die unruhig schlief, und wiegte sie sacht in den Armen, ohne in ihrer Aufmerksamkeit für das, was draußen geschah, auch nur eine Sekunde nachzulassen.
Wasser drang noch nirgends ins Haus, wie überhaupt der Sturm in dieser Nacht schlimmer als die Flut zu sein schien.
Zwei Heuklampen standen vor ihrem Haus, aber sie reichten nicht aus, um ihm vor dem Sturm Schutz zu geben. Heinke hatte sogar ständig Angst, daß die Heugebirge sich losreißen und gegen die Hausmauern wehen könnten. Aber Sönke hatte ihr im Gegenteil versichert, daß sie im Notfall sogar ihre letzte Hoffnung darstellen würden. Schon mancher Halligbewohner hatte sich vor den umstürzenden Hausmauern auf den Klamp gerettet und war mit ihm bis zum Festland getrieben.
Heinke hatte nicht die geringste Lust, auf einem Heuberg durch die Nordsee zu treiben. »Wie sieht es aus?« fragte sie, als Sönke zurückgekehrt war.
»Nicht gut. Ich habe jetzt Sandsäcke auf die Abdeckung des Soodes gelegt. Vor die Türen auch.«
Heinke nickte still. Das bedeutete vermutlich, daß das Wasser die Warfkrone wahrscheinlich doch erreicht hatte und der Wind immer noch nicht in die ungefährlichere Nordwest- oder gar Nordrichtung drehte. »Und die Klampen?«
»Sind verankert. Noch halten die Taue. Aber die Paulsens haben ihren bereits verloren. Sie sahen ihn davontreiben.«
»Die Ärmsten«, sagte Heinke mitleidig. »Und unsere Kühe und Schafe sind so unruhig, daß man meinen könnte, sie hätten um ihr eigenes Heu Angst.«
»Ich habe es schon gehört. Ich werde mal nach dem rechten sehen.«
Wieder war Heinke mit ihrer Tochter allein in der Döns. Bandik schlief wie immer in seinem Alkoven in der Küche, er machte sich am wenigsten aus dem Sturm.
Unbewegt lauschte Heinke den vielfältigen Geräuschen, die der Wind verursachte, und allmählich war sie gar nicht mehr sicher, ob nicht schon das Wasser die Hausmauern umspülte. Am frühen Abend hatte sie noch die Schaumkronen auf den kurzen Wellen unterhalb des Hauses glitzern sehen können.
Aber wenn die Sturmläden vor den Fenstern geschlossen waren, fühlte Heinke sich wie in einem unterirdischen Loch eingesperrt. In solchen Nächten half nur beten und hoffen, daß der Herr ein Einsehen haben möge.
Am späten Vormittag des nächsten Tages war der Sturm immer noch hart, er hatte jedoch endlich gedreht. Die Ketelswarf war noch einmal davongekommen, darüber waren sich die Männer einig, die sich in der Nordwestecke den Schaden am Haus der Paulsens betrachteten. Der Wind hatte ihren Heuberg dagegengeworfen, wodurch die Traufe des Reetdaches beschädigt worden war. Danach hatte der Wind leichtes Spiel mit dem Reet gehabt.
Sobald es abflaute, würde Hans Paulsen sein Dach flicken. Andere Häuser waren nicht beschädigt, nicht einmal die Bockmühle, und selbst das Schiff von Redleff Ketelsen schaukelte unbeeinträchtigt im Priel.
Heinke hörte sich die Kommentare der Männer still an, sie war hauptsächlich mitgekommen, um das Meer zwischen der Warf und Föhr in Augenschein zu nehmen. Die Wellen draußen auf See trugen Schaumkronen, und noch stand das Wasser auf der Hallig, aber die Pfosten der Gatter und Zäune schauten schon zur Hälfte heraus.
Bandik kam mit einem Arm voller Reethalme, die von Paulsens Dach stammten und irgendwo in Lee liegengeblieben waren, um die Ecke gestürmt. »Ich helfe dir beim Flicken, Hans«, rief er und ergänzte nach einem vorsichtigen Seitenblick auf seinen Vater: »Nach der Schule.«
Details
- Seiten
- Erscheinungsform
- Neuausgabe
- Erscheinungsjahr
- 2016
- ISBN (eBook)
- 9783960530602
- Dateigröße
- 893 KB
- Sprache
- Deutsch
- Erscheinungsdatum
- 2016 (April)
- Schlagworte
- Fee Hausgeist Kinderbuch Elfe für Jungen Märchen Wichtel Vorlesegeschichten Sagengestalt Volksmärchen für Mädchen Weihnachten Dänemark eBooks